Mittwoch, 9. September 2009


"Verantwortung für das Leben" - hier habe ich ein paar Aufsätze zu
meiner Verantwortung, also auch zu klarer geistiger Haltung in meinen Meeresforschungen - wie ich es im Laufe des Lebens gelernt habe. Zuerst aber wie andere Menschen diese Verantwortung herausbilden können: "die Kinderwanderung".


(Über alle meine Blogs findet ihr eine Liste unter

Verantwortung: Kinder gegen Technik


... die Kinderwanderung




– ein Versuch, einer neuen Menschheit eine Grundlage in der Kindheit zu geben, oder durch das Erscheinen einer neuen Art von Kindheit/Kindern. Von Aryaman entworfen, um dem Neuen Menschen ein Stück literarischen Raum zu geben. Ich danke meinem Meister Osho, dann auch wegen der Anregungen Eckart Tolle und Irmgard Voelz. Und den Kindern, und meiner eigenen Kindheit, wo überall ich kind-mögliche Emotionen finden kann.

Kind-Sein ist ja ein sehr großer Abschnitt, der weitaus größte Abschnitt der ganzen individuellen Lebensspanne. Denn wenn wir als Kind zurücksehen in unsere Vergangenheit, kommen wir ja aus der Unendlichkeit, wir haben den Anfang nicht selbst erfahren. Im Vergleich zu dieser Unendlichkeit sind die überschaubaren Jahre danach kurz, wenn auch voller Erfahrungen und Erlebnisse.

Es war nicht immer so, aber heute beginnen wir zaghaft zu verstehen, daß ein Mensch vom frühesten Anfang an voller Mensch ist. Nur, sie/er muß einfach sehr viele Dinge des Lebens, auch die Sprache, erstmal lernen. Dann kann er/sie das eigene, individuelle Wesen voll ins Leben einbringen, auch ins gesellschaftliche Leben. Ich achte und beachte die Kinder vom ersten Anfang an, und bei klarer und aufmerksamer Betrachtung selbst des kleinsten Kindes beginne ich zu sehen, was da ist, was für ein Mensch, was für eine Besonderheit. Fehlt ihm nur noch die Möglichkeit sich zu erkennen und auszudrücken. Vielleicht ist das der Grund, daß wir heutzutage Indigokinder und ähnliche erkennen und als solche bezeichnen können. Vielleicht hat es sie schon immer gegeben.

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DER ZUG
Sobald der Zug weg ist, werde ich rübergehen. Wie es in einem alten Buch beschrieben steht, legen wir die Ohren auf ein Gleis und hören das Rummeln näher kommen. Noch ist er nicht zu erkennen, obwohl die Strecke in beiden Richtungen lang zu übersehen ist: deutsches Flachland bei Bremerhaven. Dann rattert es heran, und erschreckt weichen wir weit zurück: ein riesiges Ungetüm, riesenhoch, riesenlang und mit riesigen Eisenrädern. Ich merke, es dauert Minuten bis der Lärm vorüber ist.

Eine große Wand von schwarzem Eisen ist hoch ..., fast über uns, doch wir fliehen vor dieser Masse von Energie und Krach und Ratteln. Hat dieses was mit Mensch-Sein zu tun? Ist sowas menschlich? Am Ende die rauschende, rote Diesel-Lokomotive, die das alles schiebt - so schnell!

Aus den Fenstern sehen Leute, aber sie können uns nicht sehen. Marianne steht neben mir und weint - das ist doch so schrecklich, können wir je über diese Gleise gehen?

Auch ich bin kurz vor dem Weinen: diese schwere Macht, die uns leicht zermalmen könnte. Und dieses Nachlärmen in unseren Köpfen. Wirklich, so tief wie das in uns eingedrungen ist, wird es lange nicht wieder so still wie es vorher war. Erst nach einer viertel Stunde oder so hören wir wieder die Lerchen über dem Moor, und nach noch längerer Zeit das leise Brodeln im Moor. Die Passagiere werden wohl schon in Bremerhaven sein.


Wir vier Kinder wollen über die Gleise, und wir sind sicher, daß so schnell kein Zug wieder kommt, da es nur ein Gleis ist, und das habe ich schon beobachtet: so bald kommt nicht wieder einer - „sonst stoßen die vielleicht aufeinander!“ sagt Lisa ein wenig klug. Doch auch sie hatte leise geweint, und Hermann auch, ich nicht, obwohl ich nicht der Größte bin. Marianne ist die Größte und leitet uns meistens an.


Wir schultern wieder unsere Rucksäcke und steigen bebend über die Gleise und sind froh wie wir drüben sind. Schnell laufen wir ein Stück weg von diesem schrecklichen Bahnbetrieb, „wie eine Art Drache,“ sagte jemand von uns. Unser Hund Timor kommt mit und hat am Ganzen am wenigsten gelitten. Er hat den Zug sogar angebellt. Timor ist ein großer, wuscheliger, fast schwarzer Rüde, wir haben ihm einen Hunderucksack aufgebunden, in dem sein Futter ist.

Um was geht es eigentlich? Wir wandern. Wir wollen allein und ohne Straßen, Züge, Autos reisen, mit unseren eigenen Füßen. Ohne Computer, Schulbus, Tiefflieger ... Wir wollen erleben, wie es da draußen wirklich ist, in der „Natur“, wie die Leute sagen. Wir sind ja noch ziemlich jung für so etwas, doch unsere Eltern finden die Idee „wunderbar“ und stützen uns wo es nottut. Sie haben uns den Timor mitgegeben, als Sicherheit wie sie sagen. Vielleicht beobachten sie uns heimlich – um uns Schutz zu geben.

Und wir wollen vor uns selbst das Leben mit sehr wenig Technik leben, mal sehen, was geht. Und den anderen Menschen zeigen, was wirklich geht – ohne Technik..



DER FREMDE WANDERER

Marianne und ich haben neulich einen Mann getroffen, klein aber doch erwachsen, nicht größer als ich, der ich für mein Alter auch ziemlich klein bin. Er trug einen Riesenrucksack, der ihn hoch überragte, er sei auf der ewigen Wanderschaft, sagte er. „Früher habe ich im Zirkus gearbeitet, aber dann mussten die sich gesundschrumpfen, und da wurde einige entlassen.“ Doch er sei der Zirkusdirektion in keiner Weise böse, wie ich erwartet hatte, so sei das Wirftschaftsleben eben, meinte der kleine Mann. Und er sagte einen Spruch runter, „dhammam sharanam gatschaami“, den er sich viele Male am Tag sagt, „ich verehre das Leben wie es ist – was gibt es sonst zu tun,“ sagt er, „ist indische Weisheit.“

Und was er alles erzählte, „ihr wisst ja garnicht wie die Tiere der Wälder aussehen, aber es ist etwas Wunderbares, wenn du über nacht in deinem Zelt liegst und eine Rotte Wildschweine zieht vorüber.“ Ja, und das war für mich der erste Schub. Im Zelt liegen und wilde Schweine ansehen, vielleicht mit ihnen in Kontakt kommen – grunz, grunz.

Ein Zelt müsste ich haben. Es kann ruhig löchrig sein. Es sollte aus natürlichen Stoffen sein, keine Kunsstoffe. Die nie wieder verrotten oder – andererseits – beim Brand alles verätzen und verkleben würden.

Das könnte mein Leben sein, vor allem: NIE, NIE, NIE erwachsen werden. Dieses Leben als Kind, und dann auf der Wanderschaft, auf der „Kinderwanderschaft“ sagte mein Vater.



UNSERE FAMILIE

Marianne ist meine Halbschwester, etwas größer als ich aber nicht älter, unsere Eltern haben sich getroffen und ganz tief in einander verliebt – für ewig, wie sie sagen, fröhlich und mit glänzenden Augen und uns beide in ihre großen Arme nehmend.

Und sie haben noch ein weiteres Kind, unser aller Kind: die Suse, die noch klein ist, aber ihr werdet sie auch kennen lernen.



DIE TIEFFLIEGER, DAS MOOR

„Au, au ...“ schreit Suse und hält sich verzweifelt die Ohren zu. Sie schreit und rennt in Mama´s Arme. Es hatte schrecklich gedröhnt, näherte sich schnell und flog ebenso schnell wieder weg, aber das Dröhnen hängt uns allen noch lange in den Ohren und den Köpfen. Da kommt es wieder: der Flieger hatte gewendet und kommt wieder über uns. Eine dicke Rauchfahne schießt aus seinem Hinterende und verschmutzt die Luft. Wahrscheinlich stinkt sie. Der Mann im Flieger weiß wahrscheinlich nicht, was da unter ihm los ist: ganz auf sich allein eingestellt, nur fliegen oder so was mag er denken. So geht es manchen Tag, an den sonnigen und schönen Tagen, auch am Sonntag.

„Ja, so ist die Technik,“ sagt Vater und sieht etwas verzweifelt aus. Er fühlt sich auch gestresst, und er möchte es seinen Kindern ersparen, doch wie. Er schreibt Briefe an die Regierung und bekommt zur Antwort, „es sind doch unsere tapferen Soldaten, sie haben vom Parlament den Auftrag dazu, uns zu verteidigen – falls ein Feind uns angreifen will.“ Und wir sollten das doch einsehen und die Soldaten eher untertstützen, sie tun es doch nur für uns – diesen Lärm machen sie also für uns, denke ich, wie Vater den Brief vorliest. Irgendwie muss ich dabei grinsen, das ist doch zu lächerlich.

Sollte ich sagen, daß ich diese Piloten hasse? Und ihre schrecklichen „Dreckschleudern“ wie Vater sagt? Doch Hassen ist nicht gut, macht einen nur selbst krank, merkt aber nichtmal der, um den es geht. Und bringt die Flieger auch nicht vom Himmel. Also was dann? Fliehen, weglaufen, aber rüber ins Moor zu laufen bringt auch nichts. Da fliegen sie ebenso.

Doch, stolz habe ich einen Triumpf: Ich kenne das Moor viel besser als der Pilot-Soldat oder sein General es kennen würden, da kann ich ganz für mich leben und sein, da bin ich ICH. Diese in den Piloten-Uniformen könnten nicht das erleben, was ich erlebe: die Wasser-Spinnen, die brummende Rohrdrommel, die beiden Sumpfschildkröten, die ich mal gesehen habe, Rohrweihe, Rohrammer ... so viele Tiere wurden von den Biologen nach ihrem ganz besonderen Lebensraum genannt, dem Rohr oder Röhricht. DAS ist mein Besonderes, und ich mag es, wenn ich den anderen Kindern unseres Weilers (wie wir unser Dörfchen nennen) diesen besonderen Lebensraum zeigen kann. Unser Lehrer Herr Grams hat mich da eingeführt, und ich bin ihm sehr dankbar dafür.

Aber er hat auch gesagt, wie unser geliebtes Moor gefährdet ist durch die Technik, durch den Abbau des Torfs und das Legen von Entwässerungs-gräben.

Und eines Tages hat er uns einen Graben mit ganz vielen Sumpf-Callas gezeigt. Pflanzen, die auf dem Wasser schwimmen, Wurzeln im Wasser, und nach oben ragen weiße Tüten wie Blüten in die Luft. Jede Pflanze eine Tüte, spitz und etwas gedreht, eine Handspanne hoch. Ja, es sind Blüten, oder besser: in dieser Tüte steht ein Kolben, an dem kleine Blüten sind, unscheinbar ...

Und den See, auf dem Tauchervögel schwimmen und tauchen, Haubentaucher, Zwergtaucher, Schwarzhalstaucher, Rothalstaucher ... das sind so die Namen, die Herr Grams für die einzelnen Arten benutzt.

„Aber seht mal, ich kenne nur die Namen, die wir Menschen den einzelnen Arten gegeben haben, das hat seine Bedeutung. Doch das sagt ja nichts über das einzelne Tier. Beobachtet ein einzelnes Tier, und dann ein anderes, aber von derselben Art, und ihr werdet schon Unterschiede sehen, das einzelne Wesen ist das Besondere, für mich jedenfalls.“



DIE BUNTEN RÖCKE

Unsere kleine Schwester Suse kleckert sich beim Frühstück vom Porridge eine halbe Schale auf den Schoß, sie jammert und sieht entsetzt zur Mama rauf. Die lacht, „spring schnell auf und schüttel den Fleck ab.“ Die Suse trägt einen bunten, karierten Rock, und wie sie aufspringt, fliegt der ganze Porridge mit der Sahne und den roten Früchten auf den Fußboden, im Garten, wo er im Rasen verschwindet und von den kleinen Tieren gegessen wird. Und kein Fleck bleibt auf dem Rock. Das gefällt mir sehr gut, und ich will auch so einen Rock haben. Denn kleckern passiert mir auch sehr oft. Papa sagt, „das ist ein Schottenstoff, aus bester Wolle, und wenn du willst, besorge ich dir so einen Stoff und wir nähen dir einen Rock. Vor Jahren war ich als Seemann oft in Aberdeen und anderen schottischen Häfen, und ich habe Freunde, die mir das besorgen werden. Wir werden mal ein Muster aussuchen.“ Es kommt ein Katalog mit vielen Bildern, und ich wähle ein grün-blaues Karomuster mit einem schmalen orange Strich drin. Wie ich im Frühjahr beginne, diesen Schottenrock zu tragen, begeistern sich bald alle Kinder des Dörfchens daran und wollen auch ... und so kommt es, daß viele von uns Schottenröcke tragen, in vielen verschiedenen Farben. Ich selbst bleibe dabei bis ich mit 16 das Elternhaus und den Weiler verlasse.

Papa sagt, ein Rock öffnet das Gefühl für die Erde, für das Unten. Wer einen Rock trägt, ist der Erde näher als die Hosen-Träger. Weil ein Rock unten offen ist und der Körper sozusagen direkt auf die Erde gucken kann, und umgekehrt die Erde direkt auf den Körper.

Ich frage ihn, warum er keinen Rock trägt, obwohl er doch Gärtner ist. Er ist verlegen, „ja, da denke ich oft dran, aber es ist nicht üblich.“ „Ich will das aber für mich, und da setze ich mich über `das Übliche´ hinweg,“ sage ich. Mir kommt der Gedanke, daß es für die Nähe zur Erde noch besser ist, wenn der Rock unten nicht gesäumt ist sondern die Fransen offen sind, es ist eine Gefühlssache, mehr nicht.

Fast den ganzen Sommer trage ich diesen wunderbaren Rock. Der Herbst nähert sich, und mein geliebter und viel getragener Schottenrock wird dünn und bekommt Löcher, franst auch mehr aus als vorher. Da habe ich eines Tages ein neues Gefühl: Ich fühle, daß mein Rock meine Beine nicht mehr ausreichend schützt, vielleicht ist er zu kurz, vielleicht bin ich etwas gewachsen, ich denke schon wieder an die langen Hosen (oder wenigstens an lange Strümpfe, falls es sowas gibt). Doch genieße ich ängstlich zitternd auch die Kühle und Gefahr – eine Gefahr für meine nackten Beine. Die Gefahr, daß meine Beine, mein Körper verletzt werden, daß ich ihn verliere, daß ich sterbe und ihn verlassen muß. Daß ich ohne Körper allein bin, denn dann sind auch meine geliebten Mitmenschen nicht mehr erreichbar, keine Familie mehr, kein Dorf ... „dieses Schicksal öffnet dir auch den Blick in die Tiefen deines Seins“ – so sagte es mal die alte Frau, die ich hier im Dorf kenne und liebe, ich bin oft in ihrem Häuschen und sitze am warmen Herd, auf der Ofenbank die Beine hochgezogen und den Rock drumgewickelt. Oder ich hole Wasser aus dem Brunnen, denn das fällt ihr schon etwas schwer.

Mein Rock beginnt also, sich zu zerfleddern, auch die rote Bluse und der grüne Pulli, die ich so gerne dazu trage. Und dennoch kann ich nicht von ihnen lassen. Manchmal mag ich auch diese Unordnung an meinem Leib. Oben kann ich im Herbst wenigstens einen dickeren Pullover anziehen, Schal, Mütze, aber wenn schon Rock, dann bleibe ich richtig beim Rock. Doch für den Herbst ist dieser zu dünn, zu löcherig und zu kurz.



UNKRAUTJÄTEN

Manche Leute benutzen irgendwelche Spritzmittel gegen das, was sie Unkraut nennen, aber ich sage einfach Kraut. Oder Im-Weg-Kraut. Ich spüre aber, daß diese Spritzmittel – hier im Weiler benutzt niemand diese Dinge, auch nicht die Gärtnerei, wo Vati arbeitet –, daß diese Spritzmittel giftig sind, sonst würden die Pfanzen ja nicht sterben. Deswegen jäten wir einfach die Kräuter, die nicht da sein sollen, und werfen sie auf den Kompost.

Für zwei Wochen gehe ich in die Gärtnerei zum Arbeiten. Da habe ich gelernt: alle Pflanzen müssen zusammenpassen, in den Farben, in der Zeit, in der sie blühen oder bunte Früchte tragen, in der Pflege, und wie sie sich gegenseitig mögen. Und am liebsten hätte es die Gärtnerin, daß der Boden nie nackt ist, immer bedeckt mit den Pflanzen, die wir da haben wollen — oder aber mit Kompost. Auch im Winter, Winterpflanzen oder Kompost.

Meistens schickt sie mich, im Ziergarten das Unkraut rauszuholen, sie sagt nicht jäten. „Nimm ein Schäufelchen und stich die Pflanzen, die wir hier nicht haben wollen, mit den Wurzeln raus — besser du gräbst sie aus — schüttelst die Erde ab und legst die Pflanze auf den Komposthaufen, noch bevor sie Samen tragen. Dann bedeckst du die leere Stelle mit etwas gereiftem Kompost.“ „Was heißt denn das, gereifter Kompost?“ „Auf den Komposthaufen legen wir alle alten Pflanzenreste und lassen sie vermodern. Dann, vielleicht nach ein paar Wochen, sind sie reif, um verrottet wieder auf´s Beet zu kommen und Fruchtbarkeit zu erzeugen, das ist dann der reife Kompost. Aus ihnen wachsen dann die neuen Pflanzen.“

Wie ich mich mit dem Schäufelchen in der Hand auf die Fersen hinhocke und eine Weile den Boden und die Pflanzen betrachte, die Spinnen, wie sie umherlaufen, die kleinen Kräuter, die ich rausholen soll ... kommt mir die Erde unter mir ganz nahe. Ich bin ihr sehr nahe. Ich tue nichts, sondern ich merke wie eine Wärme aus der Erde von unten in meinen Körper eindringt, es ist wunderschön. Damit ich das noch mehr spüre, schiebe ich den Rock hoch, und nun ist es, als ob Feuer aus der Erde unten in meinen Körper kommt, Flammen, die aber nicht heiß sind. Still muß ich sitzen bleiben, denn dieses ist sehr fein, aber auch stark. Ich mache die Augen zu und sehe ein Bild, wie dunkelrote Kristalle unter mir in der Erde sind. Von ihnen geht eine Art Seil oder Schlauch oder sowas von unten in meinen Körper und leitet ein Gefühl von Erde, von Sicherheit in meinen Unterleib. Ich glaube, wäre ich tatsächlich eine Frau, würde ich jetzt das Gefühl bekommen, daß die Erde hilft, daß ein Kind in meinem Leib wachsen kann — so nahe wie nun der Unterleib der Erde ist.

Die Gemüsebeete aber werden mit einer Hacke bearbeitet, im Stehen, um das Unkraut schnell abzuhacken und den Boden etwas zu lockern. Doch in den Ziergärten sollen wir mit jeder einzelnen Pflanze umgehen, sie ansehen und beurteilen, ob sie raus soll oder hier bleiben — denn auch sogenannte Unkräuter können schön sein und sollen für eine Weile stehen bleiben, damit wir sie kennen lernen. Die Gärtnerin sagt, „so kannst DU bestimmen, wie diese Lebensgemeinschaft im Ziergarten zusammengesetzt sein soll, welche Pflanzen da sein sollen und welche nicht.“



SUSE WILL AUCH MIT

Also die Kinderwanderschaft, wir packen die Rucksäcke, auch den für Timor. Trockenfutter, ist leicht zu tragen, und eine Schale. Papa malt uns eine Landkarte und erklärt sie uns.

Suse jammert und will mit uns größeren auf die Kinderwanderschaft gehen. „Das geht nicht, sieh mal, wie lange ich schon wachsen musste, bis ICH das kann,“ sage ich und zeige ihr meine langen Beine. „So lang müssen die Beine doch mindetens sein, oder?“ „Wer so dünne Beine hat, kann ja wohl nicht weit laufen,“ zweifelt sie. „guck meine an, die sind ordentlich kräftig!“ Ich mag sie nicht enttäuschen, aber eigentlich sind ihre Beine noch eher pummelige Babybeine, denke ich. Nichts mit Muskeln zum Wandern. „Ja, später, wenn du größer bist ...,“ und sie muß etwas weinen. Nachher beim Abschied sitzt sie auf Mama´s Arm und lacht und winkt, wie Kinder so sind.

„Wenigstens habe ich den Fernseher,“ sat sie, doch das schüttlelt mich, und ich denke, da wäre es doch fast besser, wenn sie mitkäme. Ich sehe zwar fast nie da rein, doch nun fliehe ich ja vor diesem Ding, weil er immer wieder versucht, in mein Leben einzugreifen.

Versucht? Was kann er denn schon tun? Es ist mir, daß er in mir seine Bilder und Stimmen, die Nachrichten – die meistens schrecklich sind, oder langweilig und uninteressant – einpflanzen will, in meinen Kopf, in meine Seele. Ich will aber ohne all das sein, will mich selbst leben, meine eigene Seele. Ich will meine Seele!

Nun will ich mal erzählen, wie es zu dieser Kinderwanderschaft kam. Marianne und ich, und dann auch Hermann und Lisa wollen anders sein als all die Technik-Menschen. Was hat uns dazu geführt? Wir merken, wir wollen eine andere Art von Mensch sein, wollen uns nicht „umarmen lassen“ – wie Hermann sagt – von allem, was sie Technik nennen. Mama und Papa meinen, „ich seid ja eine neue Art von Mensch, lasst euch nicht unterkriegen von den Geräten, Computern, Maschinen, Fahrzeugen ... Das macht uns stolz, und wir stehen voll hinter euren Plänen.“

Nun ein paar Erlebnisse, die uns auf die Wanderung geschickt haben: Zum, Beispiel ...



DER SCHULBUS

Zur Schule müssen (so?, müssen?) wir immer in einem Schulbus fahren. Er hält nicht weit von unserem Haus. Einmal rutscht er beim Anhalten auf einem Lehmfladen aus, und ein Kind wird verletzt, Beinbruch, Jammern, Schmerzen, wer im Dorf ist, kommt herzu und hilft. So, DAS ist das Ende – ich werde nie wieder mit so einem Bus fahren, schwöre ich. Und so kommt es, mehrere Tage fährt der Bus leer, kein Kind steigt ein, doch dann spannen die Erwachsenen des Dorfes einen Pferdewagen an, und nun werden wir immer „kutschiert“, wie Mamma sagt. Irgendeiner der Erwachsenen lenkt unser Gefährt hin, und holt uns mittags wieder ab. Mit Plane obendrüber, versteht sich. Denn es regnet oft bei uns nahe der Küste. DAS ist die sichere Art, Kinder zu fahren.



DIE SCHUL-COMPUTER

Ich habe mal gehört, daß jedes Kind in der Schule einen Computer vor sich auf dem Tisch stehen hatte. Und noch dazu einen zuhause, und auf einem „Stick“ (so nannten sie ein kleines „Stöckchen“, das sie in den Computer steckten) trugen die Kinder das Geschriebene, Gelesene, Gezeichnete, Gelernte, die Aufgaben in der Tasche nach hause und am nächsten Tage wieder in die Schule. Und brauchten – außer dem Schulbrot – nichts zu tragen Und der Stick war kleiner als ein kleiner Finger!! Oh, oh, wie oft die wohl einen verloren! Was das mit den Computern sollte, weiß ich zwar nicht, doch das wurde bald wieder abgeschafft – BEGINN EINER GROSSEN PROTEST-BEWEGUNG gegen das Technische im Menschenleben? So jedenfalls bezeichneten unsere Eltern das, wir benutzen wieder wie alle Kinder durch die Jahrtausende Papier und Bleistift und einen Ranzen zum Transport. Und dann haben sie neben der Schule in altes Haus gekauft, in das alle die unbenutzten Computer eingelagert wurden, wie der Schulleiter bedauernd sagt. Um dieses Haus mache ich immer einen großen Bogen, es kommt mir giftig und gefährlich vor.



DAS RENNEN, DIE STADT

Wo das Moor ganz im Osten endet, also wo das Land etwas höher ist und keine Moorsümpfe mehr sind, läuft eine Autostraße. Da ist immer viel Lärm, denn Autos – ihr wißt – lärmen nun mal. Und Lärm kann ich nun gar nicht vertragen. Und sie stinken. Und Gestank muß auch nicht sein.

Ein paar mal war ich mit Erwachsenen aus unserem Dorf in der Stadt, in Bremerhaven, mit dem Auto, und sie dachten, damit könnten sie mir etwas Besonderes bieten: Eine Großstadt erleben! Doch schon nach kurzer Zeit, nach einer halben Stunde vielleicht, wollte ich da wieder raus: so viel Lärm! Ich habe mich mit Händen und Füßen und Geschrei gewehrt gegen diesen Zwang, den sie mir antaten: in dieser Hölle sein zu müssen!

Während ein paar Minuten Zeit lehnte ich mich an eine alte Hausmauer, und da spürte ich es: das Donnern von Bomben und das Schmerzschreien der Menschen und den Staub von den zerbröckelnden Häusern um mich herum – Fensterrahmen fielen auf die Straße, die Gardinen flatterten noch darin ... Erinnerungen an den Krieg, den sogar unsere Eltern nicht erlebt hatten, waren noch nicht geboren – aber in meiner Seele schwingt das noch immer nach, und nicht gerade schön, und kommt je und je zum Vorschein, Schrecken, Angst, Wut. Und Krieg wurde möglich durch die Technik, die Kriegstechnik, die sie damals hatten: Bomberflugzeuge und all das.

Doch sie fuhren mich nicht nach Hause, weil sie „noch Dinge zu erledigen hatten“ und boten mir stattdessen an, in einem Eiscafee zu sitzen und die Leute zu beobachten und ein Eis zu genießen. Doch am nettesten war ein riesiger Hund, der vom Eismann eine große Eiswaffel in die Schnauze gesteckt bekam und in einem Biß verschlingt – wozu unser einer 10 Minuten braucht – und genießt. Ob der Hund da wohl einen Genuß haben kann? Herr Grams erläuterte das so: „Hunde haben ein viel schnelleres Nervensystem, und da geht auch das Genießen schneller.“ Die armen Hunde denke ich ...

Also, die Straße hier hinterm Moor: es gibt da ein Datum im Jahr, an dem werden auf dieser Straße Motorrad-Rennen vollführt. Was immer das bedeuten mag, ich verstehe es nicht, und versuche mich weit ab zu verstecken. Leider ist das Moor so dicht an der Straße, daß es kein gutes Versteck ist, kein Schutz vor dem Lärm und dem Gestank. Und wenn einem Leute begegnen, sind sie so erregt, daß ich Kopfschmerzen bekomme.

Es ist Sommer, und ich trage meinen bunten Schottenrock – doch wie das Rennen beginnt, fühlt mein Körper sich den Bedrohungen der Maschinen so ausgesetzt, als sollte er verwundet werden, als würde er unten ausbluten. Die stinkenden Abgase setzen sich an meine zarte Haut und ätzten sie. Es ist mir, als ob ich mir lange, dicke Hosen anziehen sollte, um meinen Körper gegen diese Bedrohungen zu schützen, Schutzkleidung. Zuerst wickele ich mir den Rock um die Knie, dann renne fort in die andere Richtung, in Richtung zu den Deichen an der Nordsee.

In der Ferne sehe ich die Schiffe ziehen. Ja, DAS ist Ferne, und ich kann das Ferne selbst gestalten, mir selbst einrichten. Es ist nicht so, daß ich auf den Schiffen reisen will, nein, denn ich habe sie schon von Nahem gesehen, da sind sie noch schrecklicher als der Zug. Aber ihr Weg, der Weg der Schiffe könnte auch meiner sein. Vielleicht als Delphin im Schwarm reisen, fröhlich hüpfen und spingen, – oh je, woher habe ich das? Also doch was Gutes im Fernsehen gesehen. Ausnahme?

Um was rennen die Motorradleute denn eigentlich? Etwa um Zeit? Haben sie denn keine Zeit? Sie brauchen sich doch nur hinzusetzen, vielleicht mit mir ins Moor, ihre Beine streicheln, und die Wasserspinnen beobachten. Und den Rest vergessen – befiehlt ihnen denn jemand, so zu rennen?

Eine große Wand von schwarzem Eisen ist hoch ..., fast über uns, doch wir fliehen vor dieser Masse von Energie und Krach und Ratteln. Hat dieses was mit Mensch-Sein zu tun? Ist sowas menschlich? Am Ende die rauschende, rote Diesel-Lokomotive, die das alles schiebt - so schnell!


Aus den Fenstern sehen Leute, aber sie können uns nicht sehen. Marianne steht neben mir und weint - das ist doch so schrecklich, können wir je über diese Gleise gehen?


Auch ich bin kurz vor dem Weinen: diese schwere Macht, die uns leicht zermalmen könnte. Und dieses Nachlärmen in unseren Köpfen. Wirklich, so tief wie das in uns eingedrungen ist, wird es lange nicht wieder so still wie es vorher war. Erst nach einer viertel Stunde oder so hören wir wieder die Lerchen über dem Moor, und nach noch längerer Zeit das leise Brodeln im Moor. Die Passagiere werden wohl schon in Bremerhaven sein.


Wir vier Kinder wollen über die Gleise, und wir sind sicher, daß so schnell kein Zug wieder kommt, da es nur ein Gleis ist, und das habe ich schon beobachtet: so bald kommt nicht wieder einer - „sonst stoßen die vielleicht aufeinander!“ sagt Lisa ein wenig klug. Doch auch sie hatte leise geweint, und Hermann auch, ich nicht, obwohl ich nicht der Größte bin. Marianne ist die Größte und leitet uns meistens an.



FERNSEHEN?

Wozu denn auf diese flickernden Fernsehscheiben sehen? Was gibt es da? Manchmal setze ich mich dazu, wenn die anderen ... doch fast jedesmal wird meine Nacht unruhig: das Brummen der Flugzeuge ist wieder da, die Feuer hinter dem Moor, da wo die große Stadt liegt, die sie wieder bombardiert haben. All das liegt ja sehr lange zurück, weit vor der Geburt unserer Eltern, aber irgendwie ist es sehr tief in meiner Erinnerung und kommt bei solchen Gelegenheiten wieder hoch.

Oder nur einfach Unruhe, hin und herwälzen, manchmal auch Zittern. Marianne geht es nicht anders. Immer wieder beschließen wir, NIE wieder fernzusehen, doch immer wieder gibt es da einen „Besonderen Film“, den man „unbedingt ...“. Doch wieder diese Unruhe-Nächte! Also: NIE wieder fernsehen!

Da sind die Delphine eine Ausnahme, aber ich muß sie nicht sehen, wenn ich dafür meine Nachtruhe haben kann.

Und da setzt der Streit in der Schule an: Die Lehrer meinen, einen gewissen Film müssen wir ansehen, denn morgen wollen sie ihn im Unterricht behandeln, und Bildung ist doch was Gutes. Doch Marianne und ich weigern uns: NEIN, wir wollen nicht. Und nun gibt es Worte einer Gruppe, die auf Fernsehen steht, und einer anderen, die sich – es werden immer mehr – auf unsere Seite stellen. Erst beschimpfen wir uns nur, doch an manchen Tagen, an denen es schlechte Laune gibt, auch bei den Lehrern, schlagen wir uns sogar und zerreißen einander im Zorn die Kleider. Es bilden sich zwei Parteien: die für und die gegen Fernsehen, und die Lehrer sind hilflos, denn sie merken, hier kommt eine starke Kraft auf, die sie nicht kennen. Wenn die Für-Gruppe sich stark fühlt, lässt sie ihren Zorn an uns aus, wenn wir uns stark fühlen, geht es umgekehrt. Und so geht es weiter.

„Weißt du,“ sagt Marianne mal auf dem Heimweg: „ an einem solchen Tag, möchte ich mir eine lange Kutte überziehen, dunkel und schützend, wie die Burka der Moslem-Mädchen.“ Mir geht es ebenso, und wir suchen nach einem Weg für uns. Und der ist schließlich so: beide legen wir eine dunkelbraune Burka in unser Schulfach und ziehen es bei Bedarf über. Nun kommen schließlich neue Streitgkeiten, denn die anderen fühlen sich ausgeschlossen: „wir dürfen eure Gesichter nicht sehen, wenn ihr euch ärgert,“ und sie zupfen und zerren an unserer Kleidung herum. Versuchen sie zu zerreißen.



DIE HEIMCOMPUTER

Und nun das schärfste Thema: Alle haben einen Heimcomputer: klein und leicht und voller enormer Kräfte und mit Anschluß und Verbindungen an das Internet und andere weltweite Systeme. Wie ich in DAS Alter kam, so mit 5 etwa, begann mein Widerwille, mein Protest, schnell und riesengroß wachsend, und es begann meine Suche nach meinem eigenen Weg. Ich habe das Gefühl, daß mich jeder Mensch mit seinem Heimcomputer bis tief in den Schlaf verfolgen kann und Schalter in meinem Körper umlegen kann, von denen ich nicht einmal etwas ahne. Wie ich das einer uralten Frau im Dorf erzähle, unter Tränen und schluchzend, erzählt sie von einem alten Buch, das George Orwell mal geschrieben habe: „1984“ heißt es und beschreibt so was. Damals, 1948, konnten sich die meisten Menschen nicht vorstellen, doch manches ist schon Jahre früher aufgetreten als Orwell das vorraussah.

Und nun, sagt sie, weiß in Wirklichkeit niemand, ob nicht irgendeine Kraft auf der Erde – auf der ganzen Erde! – was mit dem eigenen Heimcomputer zu tun hat. Ob da nicht eine Kraft hineinschaut in mein Leben oder es verändert ... huh, mir graut´s bei diesen Worten. Und heulend renne ich raus und verstecke mich in meinem geliebten Moor. Ich will ganz und gar ich selbst bleiben, ganz ich selbst sein und nicht so ein Sklave ferner „Big Brothers“ – wie es in jenem Buch heißt.

Und wieder habe ich das Bedürfnis nach einer Burka, und habe Angst, daß mein schwingender Rock mich eher noch verwundbarer macht, alles so frei. Und gerade diese Freiheit ist es ja, die ich brauche. Dafür lebe ich doch: für diese Freiheit. Was hat mein Leben sonst für einen Sinn?

Wie ich die Frau wieder besuche, frage ich , „wenn ich nun meinen Heimcomputer nur auf meinem Tisch stehen lasse und nicht an eine Antenne anschließe ...“ „da ist es kaum anders, denn über das Stromkabel oder eine eingebaute Radioantenne oder andere Technik können die anderen Kräfte dennoch in deinen Heimcomputer kommen.“

„Muß ich das denn alles ...?“ „Wahrscheinlich kannst du dich davor nicht retten, die Zeiten haben sich so sehr geändert ... nur ICH bin frei davon, da ich bald sterben werde, nur da können sie nicht ran“ – da kriege ich eine Heul- und Wutanfall und renne laut schreiend aus dem Haus. Mein Moor ist die Rettung. Ich kuschel mich vertrauensvoll unter einen Birkenstrauch und heule mir die Seele raus. Und ich beschließe, nun mein Leben voll und ganz neu einzurichten. DAS WERDE ICH NICHT MITMACHEN. Und so klein und schwach bin ich doch noch, und dann DIESE Herausforderung!

Vielleicht werde ich noch Menschen finden, die es so fühlen wie ich – natürlich zu erst mal Marianne.



MARIANNE UND ICH AUF DEM WEG, DIE HÜTTE IM MOOR

Nun sitzen wir oft zusammen, mehr als bisher, und was wir zu besprechen haben, ahnt ihr sicher schon. Oder besser: was wir gemeinsam zu erfühlen haben, diese Beleidigungen unserer Seelen! Wir können uns auf unsere Eltern bedingungslos verlassen, ihnen vertrauen, sie werden uns nichts in den Weg legen, außer was eh schon dort liegt, sie werden mittun, um unsere Wege freizuschaufeln.

Im Moor ist eine alte Hütte, auf einem kleinen Hügel neben einem alten Kirschbaum und ein paar anderen Bäumen, Eichen glaube ich. Und etwas Garten-Möglichkeit drum rum. Die Hütte ist aus dicken Eichenbohlen gezimmert und steht auf ein paar dicken Feldsteinen, sie scheint schon sehr alt zu sein. Da ziehen wir beide stundenweise hin, übernachten auf einer Pritsche. Es scheint, daß niemand dieses Hüttchen kennt, jedenfalls finden wír nie frische Spuren anderer Menschen. Der Platz ist sogar so trocken, daß wir ein paar Bücher dort aufstellen können, und das Schöne ist: das Dach ist mit Birkenrinde belegt und mit Gras und kleinen Sträuchern bewachsen, von oben ist die Hütte unsichtbar, kein Flieger kann sie sehen. Eine breite Pritsche und ein Tisch sind dort, und das ist gut, denn im Winter kann man ja nicht auf dem Boden sitzen oder liegen. Doch diese Möbel sind so schwach und zerbrechlich, daß sie gerade nützen, um nicht auf dem Boden sitzen zu müssen, und Moos wächst in den Spalten. Und dann kann man sich einbilden, daß da eine Herdstelle ist, jedenfalls liegen da ein paar schwarze Feldsteine.

So können wir ein Feuer machen, aber wir achten darauf, daß es nicht raucht, nur ganz dürres Holz nehmen wir, das wir in der Hütte schon getrocknet haben.

Im Winter wird es schwierig sein, wenn der Wasserstand im Moor gestiegen ist. Zur Sicherheit legen wir unseren Eltern einen verschlossenen Brief mit Lageplan hin, falls sie uns nicht wiederfinden.

Marianne meint erst in ihrer Wut, wir sollten alle schlimme Technik einfach zerstören. Schnell sehen wir aber, daß das einfach nicht möglich ist. Unsere Mama meint zu uns abends bei einem Gespräch, „... stellt der Sache eure klaren, hellen, reinen Kinderaugen entgegen. Seid echte Kinder ohne Einschränkungen. Das wird schwer sein, weil die meisten Menschen eure Bedürfnisse nicht verstehen werden. Doch ich glaube, das ist das Einzige, was ihr wirklich tun könnt“

Wie geht denn das, fragen wir. „Jeder Mensch – in jedem Alter – muß selbst erkunden und erfahren, wer sie oder er eigentlich ist, ursprünglich ist, schon vor der Geburt. Das ist eine alte Sache, die schon so viele Menschen zu allen Zeiten begonnen haben. Und gemerkt, daß es geht. Dann gibt es die Möglichkeit, daß du schnell erkennst: so und so BIN ich, so uns so soll ich sein. Und das BIN, das lass rausstrahlen. Und dann sehen wir Älteren plötzlich: DA IST DER NEUE MENSCH, da ist das neue Mensch-Sein.“



DIE KINDER-GESICHTER

„... stellt der Sache eure klaren, hellen, reinen Kinderaugen entgegen.“ Ich weiß zwar was Mama meint, aber ich möchte es richtig verstehen. Also sehe ich in den Spiegel. Na ja, diese Augen also. Wenn ich ein Foto von meinen Eltern daneben halte, dann erkenne ich schon, daß meine Augen klarer, heller und reiner sind als deren Augen. Aber bin ich das denn? Mein Gesicht ist anders als das Gesicht von Erwachsenen, eben ein Kind-Gesicht. Und was ist das Besonderes?

Ich sehe mir andere Kinder an. Und ich weiß auch, daß ein Kind durch sein Gesicht Macht über Erwachsene hat, eine schöne und oft auch zarte Macht. Auch über seine Stimme und vieles andere kann es seine Macht ausüben. Erwachsene müssen sich da beugen, denke ich. Doch meistens beugen sie sich nicht, warum nicht? Mit Lehrer Grams spreche ich darüber, und er meint: „oft müssen wir Erwachsenen sehr gegen uns selbst ankämpfen und hart sein. Da ist ein Gefühl, daß wir den Kindern nicht nachgeben dürfen, das wäre schädlich für alle.“ Und er meint, daß die Kinder lebenstüchtig gemacht werden sollten, zu „Persönlichkeiten heranreifen“ sollen, eben, ihr Kindsein zurücklassen sollen. So wäre das Menschenleben eben. Die Kindzeit ist nur ein Weg um Mensch, um Erwachsener zu werden – „ich selbst meine das nicht so, aber so wird das meistens gedacht, und wir Lehrer sollen so sein.“

„Und was denken Sie?“ fragt Marianne.

Herr Grams sagt etwas sehr Erstaunliches: „Die Kindzeit ist die längste Zeit eines Menschenlebens. Weißt du denn, wann deine Lebenszeit angefangen hat, ich meine, weißt du es wirklich, hast es in Erinnerung? Zum Beispiel: BUMS und es fängt an.

Der Beginn unseres Lebens ist in unendlicher Ferne, so weit weg, daß wir keine Erinnerung haben, es gibt so gesehen keinen Anfang. Und deswegen ist die Kindzeit unendlich lang.“

„Und der Rest ist eben nur der Rest des Lebens, den wir überblicken können,“ sagt Marianne, etwas verwirrt aber sie hat es doch verstanden, ich auch.

Eine große Wand von schwarzem Eisen ist hoch ..., fast über uns, doch wir fliehen vor dieser Masse von Energie und Krach und Ratteln. Hat dieses was mit Mensch-Sein zu tun? Ist sowas menschlich? Am Ende die rauschende, rote Diesel-Lokomotive, die das alles schiebt - so schnell!

Aus den Fenstern sehen Leute, aber sie können uns nicht sehen. Marianne steht neben mir und weint - das ist doch so schrecklich, können wir je über diese Gleise gehen?


Auch ich bin kurz vor dem Weinen: diese schwere Macht, die uns leicht zermalmen könnte. Und dieses Nachlärmen in unseren Köpfen. Wirklich, so tief wie das in uns eingedrungen ist, wird es lange nicht wieder so still wie es vorher war. Erst nach einer viertel Stunde oder so hören wir wieder die Lerchen über dem Moor, und nach noch längerer Zeit das leise Brodeln im Moor. Die Passagiere werden wohl schon in Bremerhaven sein.


Wir vier Kinder wollen über die Gleise, und wir sind sicher, daß so schnell kein Zug wieder kommt, da es nur ein Gleis ist, und das habe ich schon beobachtet: so bald kommt nicht wieder einer - „sonst stoßen die vielleicht aufeinander!“ sagt Lisa ein wenig klug. Doch auch sie hatte leise geweint, und Hermann auch, ich nicht, obwohl ich nicht der Größte bin. Marianne ist die Größte und leitet uns meistens an.



DAS MEERESUFER – DAS ÖL

Unsere Kinderwanderung führt uns auch an die Meeresküste, an das Wattenmeer des Landes Wursten (bei Bremerhaven). Weit hinten sehen wir die Schiffe vorüberziehen, kleine und große, Dampfer und Segler. Wir steigen vom hohen Deich hinunter an die schlammige Küste des Wattenmeeres, und da ist Schilf, kleine Flüßchen, in denen sich das abfließende Wasser schlängelt, und an denen kleine Tiere leben. Eine sehr bunte Welt von Tieren und Grünem, also Pflanzen, die ganz anders aussehen als an Land oder im Moor. Es ist eine wunderbare Welt, besonders für Hermann und Lisa, die noch nie hier waren.

Doch auch noch was anderers ist hier, an der Küste, das ist Müll, an manchen Stellen in solchen Mengen, daß die Tiere Schwierigkeiten haben. Wo der herkommt, wissen wir nicht, aber gewiß ist vieles von Schiffen abgeworfen worden. Wir sehen: Farbeimer mit Farbe drin, auch ausgelaufene Farbe und andere Flüssigkeiten, Plastik-Eimer, -Flaschen, -Puppen, -Kästen, -Tüten Bierdosen, Seile aus Plastik (unverrottbar).

Und das Ekligste: es ist Teer und Öl angeschwemmt worden, teilweise sind die Schilfhalme damit überzogen und der Wattschlamm dazwischen noch mehr. Der Gestank ist an solchen Stellen schrecklich. Wir finden auch mal einen Meeresvogel, der mit Teer überzogen ist, eine wunderschöne Ente, die sich durch den Teerschlamm zu quälen versucht, nicht mehr fliegen kann, nicht mehr schwimmen kann und kaum noch gehen, und versucht, ihre Federn vom Öl zu reinigen. Mit dem roten Schnabel versucht sie das Öl abzuziehen, aber der Schnabel verölt dann natürlich auch, alles wird immer schlimmer. Wo das Öl noch nicht die Federn verschmutzt hat, ist es weiß und orange-rot, und der Kopf ist schwarz mit grünem Schillern.

Eine Frau aus Holland, die wir treffen, schickt uns diese Zeichnung, sie schreibt, das sei eine Lumme, die dem ausgelaufenen Öl des Tankers zum Opfer gefallen sei - wie noch viele andere Tier an diesem Ort an der französichen Küste:


Wir möchten der Ente helfen, aber wir sehen keine Möglichkeiten. In uns steigt hilfloser Hass auf, wir beginnen die Menschen zu hassen, die sowas tun: Öl und Teer ins Meer werfen oder nicht aufpassen, so daß es zu Schiffsunfällen kommt. Marianne hörte von einem Verein in Bremen, der solche Sachen in die Zeitungen und ins Fernsehen bringt, aber wir bezweifeln, ob das wirklich erfolgreich sein kann. Besonders Marianne ist verzweifelt: „Sind Menschen nun einmal so? Kann man da nichts ändern?“

Lisa und Hermann sitzen still abseits und sagen schließlich: „mit Hass können wir garnichts tun. Dann steigt noch mehr Hass in uns auf und vernebelt unsere Seelen, und die Gefahr ist groß, daß wir in diesem Seelen-Nebel genauso unbedacht und achtlos werden wie die anderen, die das tun.“

Still sitzen wir am Ufer und sehen auf die Ente, wir schicken ihr unsere liebenden Gedanken und haben auch ein schlechtes Gewissen, daß Menschen sowas machen: Öl ins Meer fließen lassen.

Von weitem kommen drei Frauen und ein Mann langsam am Ufer entlang und beobachten und schreiben auf und machen Zeichnungen, wir kommen ins Gespräch und hören, daß sie von dem Verein in Bremen sind. „Was machen Sie nun?“ fragen wir. Sie sind so verzweifelt wie wir und wissen nicht, was sie wirklich tun können. „Immer wieder in die Zeitung bringen,“ sagt eine Frau und hat Tränen in den Augen.

„Kann man denn da kämpfen?“ fragt Marianne. „Nein, gegen wen denn?“ sagt die Frau. „Können wir die Menschen verändern?“ „Kaum, denn wir sind zu wenige.“ „Dann ist also alles vergeblich.“ „ja, es sieht so aus, seit vielen Jahren ist es schon so, wird mal besser, dann wieder schlimmer, aber wir haben keinen Einfluß darauf.“

Ich erwähne die Kinderaugen, die schon manches bewirken, und erzähle von meinen Gedanken. „Ja, das wäre eine Hoffnung,“ sagt eine andere Frau, „ich habe drei Kinder und kenne noch viel mehr, das werde ich mal ansprechen.“ – lange Pause – „ja das wäre eine Hoffnung, eine Möglichkeit. Dann wären diese Kinder, die da aktiv sind, so wie ihr, auch als Erwachsene bewußter, aufmerksamer, rücksichtsvoller.“ – „wir von unserem Verein wollen euch da gerne helfen, liebend gerne. Hilfreich im Hintergrund stehen, sozusagen die Hände hinter euch halten und schützend über euch. Dann könnt ihr euch besser eurer Aufgabe widmen.“

Wie sie das mit den Erwachsenen sagt, die wir mal werden, protestiere ich, „ich will aber nicht Erwachsener sein.“ „das mußt du auch nicht, nur der Körper wird erwachsen, aber deine Seele bleibt Kind in der Art wie jetzt, ich habe da große Hoffnung. Eine neue Art Mensch scheint aufzutauchen, ihr, die ihr heute Kinder seid.“



ACHTLOSIGKEIT TÖTET LEBEN

Plastik scheint ein Lieblingsabfall zu sein. "Plastikabfall ist doch so harmlos, schadet nicht, ist nur häßlich" habe ich oft gehört, aber hört dies: einen gestorbenen Vogel sahen wir am Ufer des Landes Wursten. Zwischen Schlamm und Schilf sind Flächen mit Sand, und aus dem Sand sehen an einer Stelle ein Kreis von Vogelfedern, und ein Schnabel, im Kreis der Federn liegt eine Hand voll bunter Plastikteilchen - erst sind wir sehr erstaunt -, es ist wie auf diesem Foto, das uns eine der Frauen, eine Holländerin, später schickte (mit der Zeichnung):

Sie schreibt dazu : "ein Albatros-Kücken, das den Magen voller Plastikteile hat,
die ihm von den Eltern als Futter gegeben wurden, sie erkannten es nicht anders.
Es ist verhungert. Das Bild stammt von Chris Jordan, der es auf einer Insel
im Pazifik aufnahm, doch es ist nur ein Beispiel, wie es sehr vielen Seevögeln ergeht, vielleicht sterben sie bald aus ... deswegen."


Die Holländerin erklärt uns, "von der Möwe hier ist fast alles von den Würmern gefressen, aber die Federn, die Knochen und die Plastikteilchen im Magen haben sie nicht zerfressen können. Die Möwe musste sterben, verhungern, denn ihr Magen nahm keine Nahrung mehr auf, er war ja voll. So wie der Albatros, von dem ich euch ein Foto schicken werde." Auch ein Lego-Steinchen finden wir in der Möwe! Versteht ihr, was wir gegen Plastik haben? Doch wir wissen keine Wege aus dieser Falle, aus dieser Plastikfalle. "Denn das Plastik wird immer mehr und vergeht nicht."



DAS LAGERFEUER, DIE BANDE

Wenn wir Lust haben, machen wir uns ein Lagerfeuer. Nicht etwa, wenn die Sonne untergeht oder es 12 Uhr ist oder so was, sondern wenn wir Lust haben, und wenn wir merken, daß wir alle gerade Lust haben. Doch einmal treffen wir auf ein Lagerfeuer, an dem etwa zehn Kinder sitzen und reden und dann wieder schweigen, staunend stehen wir etwas abseits. Wer ist das? Eine sagt schließlich zu uns, „wir erholen uns gerade, machen Urlaub, so etwa.“ Sie trägt auch so was wie eine Burka, rot, mit Kapuze. Und ein starker Hund liegt neben ihr. Das alles ist auf einer Waldlichtung.

„Man darf doch im Wald kein Feuer machen,“ tadele ich. „Ha, ha, das sind doch nur Redensarten für Menschen, die nicht aufpassen. Feuer machen heißt doch, achtsam sein, oder? Na also.“

„Wer seid ihr?“ fragte Marianne. „Und wer bist du?“ „Na ja, wir sind auf einer Kinderwanderschaft, wenn du weißt, was ich meine.“ „Nein, weiß ich nicht, aber ich sehe. Warum wandert ihr?“

Wir setzen uns an´s Feuer und sind still, alle sind still, gibt wohl gerade nichts zu sagen.

„Ihr seid aber hübsch bunt angezogen, wer gibt euch so was Hübsches?“ „Ach, das ist unsere eigene Sache, selbst ist das Kind. Ha, ha, alter Erwachsenenspruch.“ Und dann erkläre ich wie das mit den schottischen Röcken kam. Einige von den anderen möchten das auch, aber hier gerade geht das ja nicht. Wollen das mit ihren Eltern besprechen.

„Wovon erholt ihr euch gerade?“ „Wir haben in den letzten Tagen viel gekämpft, gegen die Busse in der Stadt, gegen die Werkzeugläden, gegen das Forschungsinstitut mit ihrem riesigen Schiff. Und das machte uns schließlich müde. Da sind wir rausgezogen und haben uns hier dieses heimliche Lager gemacht und sind einfach eingeschlafen, ich glaube zwei Tage und Nächte lang schon.“

Marianne fragt gedehnt, „gekämpft, zerstört, kaput gemacht ...? Und dann?“ „Und was ist nun mit diesem dicken Schiff?“ Ein Junge springt auf und zeigt hin zur Stadt, „wir haben uns in das Forschungs-Institut geschlichen, dem das Schiff gehört, und ... na, Kinder lassen sie einfach so rein, freuen sich an unserem Interesse.“ „Eine Frau – Marga Plaus heißt sie – hat uns alles erklärt, und in ihren Augen habe ich gesehen, irgendwie ist sie auf unserer Seite, versteht uns.“

„Wieso versteht ...? Was wollt ihr denn überhaupt?“ „ Technik zerstören! “ sagt ein anderes Kind voller Kraft. „Und dann hat euch diese Frau geholfen, irgendwie?“ „Ja, ich sage doch, tief innen steht sie auf unserer Seite. Sie sagt, eigentlich findet sie das ganze hier lächerlich, auch schädlich,“ „... besonders dieses Schiff, mit dem ein paar Leute immer wieder auf die Meere fahren und ..., ich weiß auch nicht richtig.“ „... anderen Völkern das Wissen wegnehmen! An ihren Küsten forschen, die Fische und so erforschen und den anderen Völkern das Forschen wegnehmen, dann haben sie nichts mehr zu erforschen, ist schon alles bekannt – so jedenfalls sagte sie.“ „Und das finden wir sehr frech ... und eben schädlich, für die anderen Völker, die Küstenvölker, sagte sie.“

„Und was habt ihr da nun gemacht?“ fragt Marianne. „Wir können ja nicht einfach das Schiff lahmlegen. Deswegen haben wir bei der Frau etwas gelernt, was sie Yoga nennt, eine alte indische Geisteskunst oder Geisteskraft. Geheim-Wissenschft, meint sie. Wir zehn Kinder gegen Technik treffen uns regelmäßig an einem bestimmten Ort und denken ganz geradeaus eine Sache, also zum Beispiel, daß das Schiff nicht gesteuert werden kann, die elektronische Steuerung geht nicht oder so was. Und dann können sie erst garnicht losfahren.“ „Ganz einfach gesagt.“

„Und das ging?“ „Wissen wir nicht, Also, wir wissen nicht, was die gemacht haben, daß es schließlich doch losfahren konnte. Darum geht es uns auch garnicht.“ Marianne ist enttäuscht, „um was denn, wenn das Schiff am Ende doch losfahren kann und all das tun, was ihr nicht wollt?“

Stille, Verlegenheit, Ratlosigkeit bei allen.

Unser Hermann steht nun auf und sagt, „es kommt doch darauf an, wo ihr selbst steht. Seid ihr nun gegen diese Technik oder nicht. Ihr habt mit eurer Seele protestiert, und das finde ich schon sehr viel. Dazu gehört Mut. – wenn das Schiff nun doch fährt, dann aber OHNE euren Segen so zu sagen. Vielleicht mit eurem ZORN! Ihr wißt was ihr wollt, ihr wißt wo ihr steht. Und das finde ich mutig, ich weiß nicht, ob ich das so könnte. Da wäre vielleicht viel Agst in mir, etwas falsch zu machen.“ Lisa umarmt ihn und sagt, „ich liebe dich für diese Worte, Hermann.“

Ein Kind der Bande sagt zu Hermann, „so ist deine beste Vorbereitung für so eine Tat. So können wir neue Wege der Technik aufbauen. Und das will ich: eine neue Form des Lebens, nicht ohne Technik doch nicht mit dieser Macht, die die Technik heutzutage hat.“ „Diese Macht finden wir so blöde, solche Technik ist nicht FÜR Menschen sondern GEGEN Menschen.“ „Wofür ist sie sonst?“ – keine Antwort, keine weiß es.

„Und was die neue Form des Lebens? Was ist die neue Technik?“

Ich denke, es sind die großen Augen und Ohren, die wir Kinder haben. Ganz aufmerksame Augen, die alles bemerken und beachten, die wachsam sind – bewußt sind – nicht schlafen wenn wir wach sein sollten, wenn wir aufpassen sollten.  Papa sagt,  
DAS IST DER NEUE MENSCH!



Übrigens: die Leute auf dem Forschungsschiff sind losgefahren. Kinder-Stimmen gelten da nicht, Kinder-Gesichter auch nicht – nur der „Erfolg“ wie die Dame aus dem Institut sagte. So gesehen ist da ein großer Unterschied zwischen Menschen und Kindern, denke ich.



DER PAKT MIT DER BANDE

Die Bande – wie sie hier ums Feuer sitzen – mag uns und wir sie. „Wollen wir einen Pakt schließen?“ fragt Marianne, „einen Pakt der Technik-Zerstörer?“ „na, na, na, das geht mir aber zu weit, gleich zerstören? Immerhin mag ich es, wenn abends das Licht angeht. Und dazu braucht´s Technik, das E-Werk.“ Marianne meint, „also gut, wir lernen von euch, wie wir uns von der Technik befreien können, oder? ... also unabhängig werden können.“ – peng, da schießt es, sie weist zu dem Schuß: „auch unabhängig von dem da!“ – dröhn, ein Tiefflieger über uns, „auch frei von dem da ...“, doch alle ducken sich unter dem Flieger. Kommt noch ein Tiefflieger, Marianne stellt sich offen hin und schreit, „hier bin ich, schieß mich doch!“ Andere springen auf, doch kein weiterer Flieger kommt, dafür aber der Jäger aus dem Wald.

„Haben Sie eben geschossen?“ „Ja, ich bin hier der Jäger, dies ist mein Revier.“ „Seht ihr, das ist der Schießer, Tiere töten, Lärm machen, andere erschrecken ...“ „Ich verbitte mir, mich einen Schießer zu nennen, das ist eine Beleidigung!“

Nur weil wir viele sind, habe ich keine Angst, doch leicht fällt mir dieser Kampf gegen die Technik nicht. Dabei muß immer jemand beleidigt werden, Jäger zum Beispiel. Oder Piloten, doch leider hören die´s nicht – oder es ist auch gut so, einfacher. Wie sehr aber so ein Geschieße und Tief-Gefliege MICH beleidigt , das fragen die nicht. Ich habe Zorn – doch Zorn tut weh, in der Seele weh, und er bringt keinerlei Besserung. Wo ich doch eigentlich meine Ruhe haben will.

Nun schließen wir also unseren Pakt – natürlich erst als der Jäger weg ist. Der Pakt ist: wir sagen uns, was es zu tun gibt, damit die Technik uns nicht noch mehr überwältigt. Wie wir mit möglichst wenig Technik leben können Wie wir unabhängig davon sein können, und anderen Menschen davon berichten können ... und kuscheln uns ans Feuer und schlafen ein.



WEITERWANDERN – DAS MÄDCHEN MIT DEM LAPTOP

Ich will nicht behaupten, daß wir immer wissen, wo wir sind, aber das ist nicht nötig, überall gibt es Menschen und was zu essen, Menschen, die uns zeigen, wo wir gehen könnten. Wir brauchen auf einem Hof nur zu bitten, und dann werden wir schön bewirtet – und woher kommt das? Eine Bäurin sagt, „ihr seht so süß aus und ich seid so fröhlich.“ Obwohl wir nicht immer fröhlich sind, doch selbst dann ... „und eure bunte Kleidung mit den flatternden Röcken und seidenen Halstüchern.“ – obwohl wir keine Seide tragen, denn dafürt werden tausende von Seidenraupen getötet, also dann feine Baumwolle, rot, gelb, rosa, lila ....

Nach einigen Tagen erreichen wir ein anderes Moor, nicht mein geliebtes Moor, doch dieses ist auch schön und voller Wasserspinnen in den Tümpeln.

An einem kleinen Tümpel, in dem so eine Wasserspinne lebt, sitzt ein Mädchen mit einem Laptop auf dem Schoß. Oh, es ist kein gewöhnliches Mädchen, ich denke, eher eine Fee, nur in einen rosa Schleier gehüllt, über dem lange, blonde Haare liegen. Und den schwarzen Laptop auf dem Schoß, eben auf dem lap, wie Schoß auf englisch heißt – so viel habe ich in der Schule doch gelernt, trotz Fensterplatz und lauter kleinen Feen, die auf dem Schulhof tanzen und die ich immer ansehen muß! Sie tippt auf dem Laptop herum und sieht immer wieder auf den Bildschirm – da ist ein Bild von einer Wasserspinne – oder von dieser Wasserspinne?

Leise und zart und hell summt sie vor sich hin – nicht die Spinne sondern die Fee –, und wir sind ganz leise, so schön klingt das. Das Mädchen dreht sich um und zeigt lächelnd auf den Bildschirm mit der Wasserspinne. Sie spielt mit ihrem Schleier. Wie sie uns noch ansieht, erscheint plötzlich auf ihrem Bildschirm ein schreckliches Bild von einigen zähnefletschenden Ungeheuern. Sie merkt es nicht, aber wir schreien vor Schreck auf. Die Fee dreht sich um und schreit ebenfalls, lässt den Laptop los und ins Wasser fallen, wo er zischend untergeht und im Schlamm versinkt.

DAS war´s mal wieder: nun haben die Laptops bei uns verspielt. Wenn das so ist, daß von irgendwoher ohne meinen Willen solche Bilder erscheinen ... dann ist das nicht eine Technik für mich, sie ekelt mich an und ich werde sie zerstörten, wo es geht. Die Fee fängt an zu weinen, „nun liegt dieses eklige Bild in meinem klaren Teich, und ...“ –
„... und die Elektronik-Chemie wird das Wasser und den Schlamm vergiften, und deine Wasserspinne muß auch darunter leiden.“

Wir setzen uns auf´s Moos neben ihr und sehen ins Wasser, wo die Wasserspinne trotz des unter ihr versinkenden Laptops an ihrer Luftglocke spinnt. Einige der Laptop-Blasen steigen unter ihre Glocke, was sie gar nicht mag und versucht, sie herauszufangen und an die Luft zu geleiten. Wahrscheinlich sind das giftige Gase.

Das Moos ist feucht und kühlt meine Beine, ein sehr schönes Gefühl. Ja, ich liebe das Leben im Moor. „Hast du hier auch eine Hütte?“ frage ich. Die Fee nickt geheimnisvoll und winkt mit der Hand ab, sie will sie uns nicht zeigen. Nein, denke ich, Feen-Hütten sind nichts für Menschen, auch nicht für Menschen-Kinder. Sie fragt nach unserer Kinderwanderung, und wie das so geht, und wo wir schlafen und essen und solche Sachen. Da fällt uns ein, wir haben seit Tagen nicht gegessen und nicht geschlafen, einfach nur so gelebt und die Wildschweine beobachtet und versucht sie zu streicheln, was sie aber nicht wollen. Die Fee grunzt dazu, was sich bei ihrer hellen Stimme sehr eigenartig und witzig anhört. Sie will nicht mit uns wandern, „... aber ich werde euch noch etwas begleiten, über euch fliegen und sehen, wie es euch so ergeht.“



WEITERWANDERN – SOLDATEN AM MOOR

Wie wir am Rande des Moores Soldaten treffen, zieht die Fee sich zurück. Da stehen zehn Soldaten in fast schwarzer Uniform, wie sie uns sehen, nehmen sie ihre Helme ab und drehen sie verlegen in den Händen. „eigentlich gehört ihr nicht hierher,“ sagte einer, „wir müssen scharf schießen, und das ist nicht schön.“ Ein anderer sagt aber langsam, „eigentlich, eigentlich gehören WIR hier nicht her, wo ihr Kinder seid, - oder ...?“ und dreht sich zu den anderen um. Weiter hinten stehen ein paar schwarze Lastwagen, auf die das Zeichen der Soldaten gemalt ist, ja also. Einer der Soldaten, noch ganz jung, fast wie wir, hat ein Kindgesicht ohne Bart, sagt, „tut mir leid, daß wir euch hier stören, dann fahren wir eben weiter,“ und will zu den Lastern gehen.

Lisa ruft ihn zurück und sagt, „wollt ihr nicht mal hören, WARUM wir hier sind?“ Er nickt, und alle kommen wieder zu uns, an den Rand des Moores. Wir stehen auf morastigem Boden, und unter uns brubbelt es, Blasen ... und ich spüre, wie es an meine Beine spritzt, von unten, unsicherer Boden, bis unter meinen Rock. „Es geht uns darum, allen Leuten zu zeigen, und auch selbst zu erleben, wie schlecht diese moderne Technik ist – auch eure Waffen, Funkgeräte, Laster, Gewehre, Tanks, Tiefflieger und all das. Und überhaupt dieses Militär. Der junge Soldat sieht uns lange an, schüttelt sich, sieht hier und da hin und dann wieder uns in die Augen (ja eben, Kinderaugen), „ja, das habe ich auch schon lange im Sinn ...“, legt sein Koppel ab, gibt sein Gewehr einem anderen, und legt noch ein paar Sachen ab, auch den Helm ... und geht weg, die anderen sind erstaunt, und einer versucht ihn zu halten, aber nun rennt er, und er rennt ins Moor, wo keiner ihm folgen will, eben unsicherer Boden.

Der Anführer der Gruppe sieht uns böse an, aber wie wir ihn anlächeln, dreht er sich um und rennt zu den Lastern. Es kommt ein Tiefflieger an, das Flugzeug macht ein paar eigenartige Töne, wackelt in der Luft und stürzt sich ins Moor, eine hohe Stichflamme ... langes Zischen und Dampf und schwarzer Rauch. Vorher war aus dem Flieger noch ein Ding rausgeflogen, die Soldaten rufen „Schleudersitz, der ist gerettet,“ und sehen, was nun geschieht, denn ins Moor gehen sie nicht, zu unsicher. Nach einer halben Stunde kommt der Pilot aus dem Moor herangewankt. Er wirft sich platt auf den festen Boden und stöhnt und schnauft. Wir Kinder sehen uns erstaunt an, „irgendwie wirkt es, daß wir gegen all dieses Zeug von euch sind.“

Ein zweiter Soldat wirft Koppel, Helm und Gewehr ab und geht weg, diesen verfolgt keiner.

Eine große Wand von schwarzem Eisen ist hoch ..., fast über uns, doch wir fliehen vor dieser Masse von Energie und Krach und Ratteln. Hat dieses was mit Mensch-Sein zu tun? Ist sowas menschlich? Am Ende die rauschende, rote Diesel-Lokomotive, die das alles schiebt - so schnell!

Aus den Fenstern sehen Leute, aber sie können uns nicht sehen. Marianne steht neben mir und weint - das ist doch so schrecklich, können wir je über diese Gleise gehen?


Auch ich bin kurz vor dem Weinen: diese schwere Macht, die uns leicht zermalmen könnte. Und dieses Nachlärmen in unseren Köpfen. Wirklich, so tief wie das in uns eingedrungen ist, wird es lange nicht wieder so still wie es vorher war. Erst nach einer viertel Stunde oder so hören wir wieder die Lerchen über dem Moor, und nach noch längerer Zeit das leise Brodeln im Moor. Die Passagiere werden wohl schon in Bremerhaven sein.

Wir vier Kinder wollen über die Gleise, und wir sind sicher, daß so schnell kein Zug wieder kommt, da es nur ein Gleis ist, und das habe ich schon beobachtet: so bald kommt nicht wieder einer - „sonst stoßen die vielleicht aufeinander!“ sagt Lisa ein wenig klug. Doch auch sie hatte leise geweint, und Hermann auch, ich nicht, obwohl ich nicht der Größte bin. Marianne ist die Größte und leitet uns meistens an.




WEITERWANDERN – DER STADTRAND


Wirklich, wir wandern weiter, unser Kinderwandern. Und der Timo mit seinem Futterrucksack auch, er ist der treueste Hund! Und hat so schöne Augen. Kein Kind kann so schöne Augen haben. Von weitem hören und sehen wir schon die Stadt, Hochhäuser und Türme, und kommen ihr immer näher. Dann geht unser Weg zwischen Zäunen, kleinen Gärten mit Häuschen zwischen den Büschen. Und Leute pflegen ihre schönen Blumen und ihr schönes Gemüse. Eine ältere Frau ruft uns an, „wollt ihr mit mir Kuchen essen, und Kakao?“

Wir gehen rein, ein altes Haus, die Frau mit drei Kindern. Der Kuchen schmeckt uns – nur später bekommen wir alle Bauchschmerzen.

Doch etwas entsetzt uns in diesem Haus. Überall stehen und liegen leere Flaschen und Plastiktüten, schmutzige Lappen, zusammen geknäulte Wäsche, Flaschen und Tüten mit irgendewelchen Pulvern oder öligen Flüssigkeiten, alte verschmierte Besen und Putzlappen, halb zerbrochene Radios und Telefone, „nicht brauchbar,“ sagt sie. Kleidungsstücke, Fahrradteile, Werkzeug, aber zerbrochen, Plastikeimer, meistens zerbrochen, Die Leute scheinen damit nicht zurecktzukommen. Ist vielleicht zu viel für sie. Hier fühle ich mich nicht wohl, ich sollte sagen, es ekelt mich an. Ich sehne mich zurück nach dem Moor, wo alles so einfach ist, wo es schön ist.

Hier aber kommt es mir so vor, als ob ich dreckig werde, meine Kleidung, meine Haut – wahrscheinlich auch meine Seele, da muss ich mich hüten. Wir gehen bald weiter. Dann kommen wir an einem riesigen Haus vorbei, einem Kaufhaus, in dem unendlich viele Dinge verkauft werden. Ja, wir wollen es erfahren, aber schön ist das nicht. Und wenn Hermann uns nicht daran erinnert hätte, daß wir nicht an alles nahe rangehen wollen sondern nur still von weitem hinsehen, dann würde mich das sehr verwirren. Da sind die Leute und nehmen dieses und jenes in die Hand, legen es unordentlich wieder in ein Regal, in dem es vorher stand. Ich habe das Gefühl, die sind alle, fast alle in der Seele so verwirrt, das müssen sie nach draußen bringen, müssen hier im Kaufhaus Unordnung machen, ihr Verwirrung hier abladen, aus ihrer Seele rausschmeißen. Vielleicht wird es dann in ihrer Seele klarer. Wir wollen in unseren Seelen klar bleiben, deswegen sehen wir uns das nur von weitem an.

Das hat uns die alte Frau im Weiler geraten, „bleibt klar in eurer Seele, nur dann geht es.“

Dann mache ich mal einen Versuch: in einem Börd eines Regals stehen und liegen viele Flaschen und Päckchen, Nahrungsmittel. Auf jedem Börd sind es etwa 50 verschiedene Sorten, von jeder Sorte 5 bis 5o Stück. Ein Regal besteht aus 5 Börden, sind 250 Sorten oder vielleicht 5000 einzelne Dinge, ich muß das alles auf ein Stück Papier schreiben und zuhause ausrechnen, eigentlich machen Mama und Papa das, denn mir wird das zu viel mit dem Rechnen. Im Kaufhaus stehen etwa 30 Regale in jedem Stockwerk, da sind drei Stockwerke, macht zusammen etwa 100 Regale, sind 25000 Sorten von Dingen, und 500 000 einzelne Dinge. Das ist eine halbe Millionen von einzelnen Dingen – das ist unvorstellbar für mich. Gibt es jemanden mit Übersicht? Und die Leute, wissen die, was sie brauchen? Und wie sie´s kriegen?

Ich möchte das nicht, und wenn ich mich nicht zusammenreißen würde, würde ich mal wieder laut schreiend rausrennen. Aber dann würden mich ein paar Leute packen und vielleicht ins Krankenhaus schleppen, oder „du armer Junge“ oder „du dummer Junge“ sagen oder anderes verrücktes Zeug tun. So bekomme ich eine miese Laune und ein düsteres Gesicht – nichts mit Kinderaugen. Sehe mich in einer großen Fensterscheibe an und weiß, was mit mir los ist.

Viele Leute sehe ich hier, die sehen sehr unzufrieden aus, und ich beobachte ein paar Frauen, die da stehen und einander sagen, wie schlecht es ihnen geht, keine Zeit, kein Geld ... und ihre Beutel sind voller Eingekauftem, und außerdem steht neben ihnen noch ein großer Karton mit irgendeinem großen Ding drin, etwas aus buntem Plastik für ihr Kind, scheint es..Und – wie es im ganzen Kaufhaus ist – in ihren Beuteln haben die Leute hausptsächlich die Verpackung der Sachen, bunte Pappe, bunte Plastiktüten ...

Wenigstens wir vier aus unserem Weiler haben bald zu viel gesehen und sehnen uns nach dem kleinen Laden im Nachbardorf, wo auch unsere Schule ist.

Ist wohl wichtig für uns, das mal zu sehen, damit wir wissen, wo wir nie wieder hingehen wollen.

Draußen wandern wir vorsichtig weiter, das ist uns arg fremd hier, aber die Stadt kommt erst noch. Doch wir wollen da nicht hin. Auf einer größeren Straße sind viele Autos, und eine Eisenbahn auf der Straße, Straßenbahn nennen sie sie. Die ist aber nicht so heftig wie der Zug, den wir neulich trafen. Hält ab und zu und lässt Leute raus und rein. Gegen diese Art von Technik haben wir erstmal nichts einzuwenden, die ist eher sanft. Wenn sie auch heftig rattelt und es an dem Metallbügel oben drauf, mit dem sie den Strom aus einem Draht über der Straße nimmt, gelegentlich heftig knattert und blitzt – reichlich unheimlich, aber sonst ist die Bahn schön, außen mit dunklem Holz getäfelt.

Hier sind Läden, und weil im Fenster eines Ladens Rehe und Hasen ausgestellt sind, gehen wir rein und rennen erschreckt sofort wieder raus, denn da hängt alles voller Gewehre in Glasschränken, und Männer diskutieren rauh miteinander, nein eher gegeneinander und wollen ein Gewehr kaufen. Na ja, Gewehre sind dazu da, um Tiere zu erschießen, und vor solchen Männern fürchten wir uns. Marianne geht in ein Papiergeschäft und holt Ölkreide und einen großen Papierbogen und schreibt drauf, „hier werden Tiere erschossen – vorsicht ihr Hasen und Rehe und Füchse!“ – und mit zusammengebissenen Zähnen gehen Lisa und Marianne zum Laden und kleben das Papier ans Fenster. Und gehen ruhig weiter, dann treffen wir uns auf der anderen Straßenseite um zu sehen, was passiert. Erst passiert lange nichts außer daß Leute sich das Papier ansehen, lächeln oder den Kopf schütteln, aber ein paar Kinder sind ganz begeistert, und als wir ihre Zustimmung sehen sprechen wir sie an.

„Mein Vater macht das auch, Tiere erschießen, und wir streiten uns oft deswegen. Ich mag ihn wegen seinem Jagtrieb nicht so gerne, sonst ja, aber dieses ...! Und dann werden die toten Leiber auseinandergeschnitten und ein Festessen daraus gemacht, mit vielen Gästen, die viel Lärm machen und zu Bier und Schnaps gröhlen. Meistens kotze ich dann.“ Irgendwo habe ich das schon gesehen, aber was der Junge da erzählt, finde ich sehr häßlich. Und ich freue mich, daß die Mädchen das Plakat da angemacht haben. Der Junge weint vor Zorn uznd Hilflosigkeit.

Da kommt eine Frau heran, die vorher mehr im Hintergrund stand, „ich habe gehört, was mit euch ist, und gesehen wie ihr das Plakat da angemacht habt. Das gefällt mir sehr gut, und darf ich euch fotografieren für meine kleine Zeitung? – auch dich mit deinen Wuttränen?“ „Ja, Sie sollen meine Wut ruhig in ihre Zeitung bringen, ich lasse die Tränen noch im Gesicht, ich bin stolz auf meine Tränen wegen dieser Sache.“ Seine Tränen sind durch den Straßenstaub etwas schmierig, aber das findet die Frau gerade richtig und – wie sie sagt – „ausdrucksstark“. „Seht ich habe auch Tränen, weil ich euch so groß finde, was ihr macht, die Menschen der Zukunft habe ich hier getroffen.“



GROSSE MENSCHEN DER ZUKUNFT?


Wir fragen unsere Eltern, was damit wohl gemeint ist, „große Menschen der Zukunft“? „Mama sagt, „es kann nicht so weiter gehen, bisher waren zu viele Menschen so, daß sie, eigentlich wir alle, die Natur zerstören, den Frieden zerstören und alles das.



SEHNSUCHT NACH HAUSE


Es regnet und ist kalt, und das Wandern mach dieser Tage keinen Spaß, wir sind schlechter Laune und sagen uns schlechte Dinge. Wir dürfen in einer Scheune mit Heu schlafen, doch gemühtlich ist das bei dieser Kälte nicht. Die Bauern mögen unsere Pläne, unsere Ideen und helfen uns. Doch das Zuhause ersetzen sie nicht. Immer wieder versuchen sie uns zu überreden doch wieder nachhause zu wandern, unsere Kräfte würden nicht ausreichern für weitere Aktionen. Unsere Familien würden sich gewiß nach uns sehnen.

Manchmal weinen wir miteinander vor Sehnsucht, das Leben im Warmen ist doch einfacher, und wir suchen den Schutz. Ich erinnere mich an meine Hingabe an die Erwachsenen, da war zum Beispiel ein Kleidungsstück, das ich nicht allein anziehen konnte, ein langes Leibchen, das hinten zugeknöpft wurde, eine Art Unterhemd. Ich brauchte die Hilfe von Mama oder Papa, um es an- oder auszuziehen. Ich habe so etwas nicht mit, sonst ... vielleicht würde ich die Bäurin bitten ...

Sie streichelt uns oft die Wangen und nimmt unsere Köpfe zwischen ihre Hände und gibt uns etwas Mütterlichkeit. Und wie ich das mit dem Leibchen mal sage, holt sie welche von ihren, nur erwachsenen Kindern heraus und gibt sie uns und knöpft sie zu – ich vergehe vor Wonne und Wehmut und Erinnerung, und Hingabe.

Auch diese Bauern haben allerlei gräßliche Maschinen, außer zwei wackeren Pferden. In fröhlichen Stunden erzählen wir von unseren Vorstellungen, die Technik zu vernichten, und sie stimmen zu und versuchen, ihre Bauerei zu vereinfachen. Doch das erleben wir nicht mehr, denn wie es wieder warmes Wetter wird, ziehen wir los.



KINDER MIT COMPUTERN

Das mit den Computern mag ich garnicht. Unser Weiler ist fast frei von Computern, vor einigen Jahren haben die Erwachsenen fast alle Computer weggegeben. Wie mir meine Eltern erzählten, kam das so: wie überall hatte auch hier jeder Mensch so ein Ding auf dem Tisch stehen, und viele – auch die Kinder – saßen viele Stunden des Tages an ihren Laptops oder anderen Typen. Was taten sie da? Meistens spielten sie Spiele, die sie auf dem Bildschirm sahen, oft grausame Spiele oder wenigstens solche, in denen Menschen über andere Menschen Macht ausübten. Wenig Schönes. Vieles geschah, was den Leuten nicht gefiel, aber es dauerte lange, bis sie erkannten, woher das kam, aus der Versunkenheit in die Spiele, die mit dem Leben nichts zu tun hatten oder das Leben sogar mies machten, wie Herr Grams sagte. Es gab immer mehr Kinder, die das nicht mitmachten. Es war zu anders als das Leben, und sie hatten gemerkt, daß es nicht das war, was ihre Seele sich wünschte, nicht das, wofür ihre Seele offen war.

Herr Grams sagt, „es ist jedem Lebewesen angeboren, sich Glücklichkeit im Leben zu wünschen, nicht aber solche häßlichen Dinge.“

In früheren Jahren, so habe ich gehört, hatte es viel Streit gegeben, weil die Kinder in der Schule ein Leben mit den Computern lernen sollten, und sonst weniges, was das Leben schön und erfolgreich macht. Wer das mitmachte, war bei allen Kindern und bei den Lehren fein angesehen, wer dagegen war, wurde „unfähig für´s Leben“ genannt. Obwohl unser Papa nur zum Schreiben von Briefen und Rechnungen am Computer sitzt, ist er nicht dumm sondern kann schönes Gemüse anbauen, und tut es. Das essen die Computer-Kinder in der Stadt, sie essen Gemüse, das aus Gärtnereien wie dem in unserem Weiler stammt.

Auch bei uns im Weiler gab es Streit, aber nicht so sehr zwischen den Freunden der Computer und den Feinden, sondern zwischen unseren Leuten und Menschen aus anderen Gegegenden, die zu uns ziehen wollten. In Gesprächen wurden ihnen auch gesagt, daß dieses ein Weiler ist, in dem die Bewohner nicht möchten, daß es hier Computer gibt. Dann wurden die Leute sehr wütend und haben rumgeschrien, und sind wieder weggefahren. „Seht ihr,“ sagte Mama, „DAS machen die Computer.“

Also keine Computer, keine Laptop, keine Sticks, kein Schulbus, und wir Kinder von heute bleiben einfache und arme Leute, warum aber nicht? Vielleicht bleiben wir einfach Kinder.



LEBEN IN LUXUS?

Herr Grams fragt uns, wie wir uns unser Leben ohne oder gegen Technik vorstellen? Kein Strom, keine Autos, keine Fahrräder ... und wir müssen erstmal darüber nachdenken.

Und wir merken, daß das sehr schwer werden würde. Selbst ein Messer ist Technik, unsere Rucksäcke sind mit Technik hergestellt, und die bunten Rockstoffe, die Papa für uns aus Schottland schicken lässt, werden mit Technik hergestellt und verschickt. Übrigens hat er sich auch einen Rock geschneidert und trägt ihn oft. Und Schneidern? Meistens benutzen wir dazu eine Nähmaschine, wenn auch eine mit Füßen angetriebene. Doch auch das ist Technik ... Und die Nadeln, wenn wir mal mit denen nähen, auch.

Irgendwo habe ich von Menschen gehört, die es mal gab, die wirklich das alles nicht hatten – aber wie ist das Leben bei denen wohl gewesen. Wir versuchen, uns das vorzustellen. Doch erstmal will ich darüber nicht schreiben – außer daß wir merken: auch wenn wir unser Leben sehr einfach mit wenig Technik leben, ist es ein Luxus gegenüber dem, was diese Urmenschen mal hatten.

Luxus? Das ist nicht nur die Wärme am Ofen und der Schutz vor Regen und Frost, sondern auch die Nähe zu Mama und Papa und den Geschwistern. Aber auch Freude an der Kühle des Windes auf der Haut, wenn es im Sommer heiß ist, und ein kühler Saft.Und Freundinnen und Freunde. Während wir noch wandern, habe ich oft die Sehnsucht nach all dem, es ist einfacher, wenn wir das zuhause genießen als hier auf der Wanderschaft mühevoll suchen. Schutz, ja, das ist es. Wie ich schon schrieb, besonders meine Beine brauchen den Schutz, manchmal, wenn es kalt ist oder wenn es mit den technischen Menschen nicht so schön ist, wenn ich Angst bekomme – um was, weiß ich gar nicht. Im Moor aber brauche ich das nicht, da fühle ich mich sehr heimisch, fast so wie in unserem Haus. Da nehme ich manchmal etwas Moorschlamm und schmiere den über meine Beine.

Ja die Beine – wenn es kalt ist oder wenn ich Angst habe, sehne ich mich nach etwas, was die Beine bekleidet, umhüllt. Dann setze ich mich mal mit hochgezogenen Knien hin und umwickele die Knie mit meinem Rock – auch wenn er schon Löcher hat. Und dann denke ich, Strümpfe, die über die Knie reichen, wären was Gutes. Mama gibt mir mal ein paar ihrer bunten Kniestrümpfe, die mir im Fuß viel zu groß sind, aber sie reichen über die Knie hinauf, und das ist gut. Daß dann die Oberschenkel nackt sind , macht nichts mehr: die Knie sind umhüllt, und das ist gemütlich, meine Oberschenkel sind kräftig und stark (auch wenn Suse das anders sieht) und vertragen allerlei.

Und dann geschieht im Herbst mal was: Mama besorgt uns Kindern wirklich ganz lange Strümpfe, die über das ganze Bein reichen. Da geht es nicht mehr, daß sie mit einem Gummi ums Bein befestigt werden wie Mamas Kniestrümpfe, sondern wir bekommen etwas, was sie Strumpfhalter nennt, lange Bänder, die am Strumpf angeknöpft sind und am Unterhemd auch, oder am Leibchen – Mama sagt, wie in alten Zeiten. Und zeigt uns Fotos aus der Kindheit ihrer Eltern, Omi und Opa, die gar nicht mehr leben. Meine Strümpfe sind braun wie die Erde – und das wärmt irgendwie auch die Seele: die Erdfarbe an den Beinen, wie der Moorschlamm.

Mit den Strumpfhaltern können sie nicht rutschen und sehen ordentlich aus. Diese Strümpfe und darüber kurze Hosen oder Rock – das ist etwas Wunderbares und Gemütliches. Und sehr Einfaches und braucht nicht so viel schädliche Technik. Mama trägt sie ja auch im Winter, da sie nie lange Hosen anzieht, und ich nehme mir vor, im nächsten Winter auch dabei zu bleiben, am liebsten im Rock, doch der beginnt nun zu zerfallen. Und Papa trägt das auch, wenn er nicht auf dem Acker oder in der Gärtnerei arbeitet, doch manchmal auch dann, er liebt das so wie ich, sagt er. Beide haben Röcke, die so lang sind, daß sie bis in die Mitte der Unterschenkel reichen. So sind wir in unserer Familie, ein bischen anders als die Stadtleute.

Wie Marianne und ich das erste Mal diese neuen Strümpfe bekommen, setzen wir uns nebeneinander auf die Sofa-Bank, nachdem Mama uns die Leibchen mit den Bändern an der Seite zugeknöpft hat, hinten am Rücken, wie das so ist. Sorgsam und mit Genuß ziehen wir die Strümpfe über die Beine, streichen nochmal darüber, damit sie glatt sind. Ich merke, dieses Streichen ist besonderer Luxus, ein gutes Gefühl auf der Haut.

Doch immer wieder gibt es Löcher an den Knien, und die müssen wir dann selbst stopfen – außer Suse, die ist noch zu klein dazu, will aber auch ...

Dann besorgt Papa neue Wollstoffe, nun dicke Winter-Stoffe aus Schottland, und wieder wollen einige Kinder – nun auch Erwachsene – im Dorf solche Stoffe und Röcke haben – eine neue Mode bei uns. Ich wähle mir diesmal einen orange und karierten Stoff aus, das passt gut zu den braunen Strümpfen und den deftigen Stiefeln aus braunem Baumwollstoff und zu einem grünen Pullover, den ich habe, oder zu einer braunen Winter- und Regenjacke. Und er soll nun länger sein, ich sage mal bis eine Handbreit unter das Knie, nicht länger.

Ja. DAS finde ich nun Luxus, so leben, wie es mir gefällt. Bin ja nicht allein, besonders meine Schwestern sollen auch Luxus haben, auch die anderen Freundinnen und Freunde im Dorf, und Luxus ist für uns, wenn es schön ist ohne all den Technik-Kram, der nur lärmt, stinkt, anstrengend ist und Geld frisst – und wenn ICH schön bin.



DIE FRAU IM MENSCHEN, DAS MÄDCHEN IN MIR, DER JUNGE IN MARIANNE:

Ich finde keinen großen Unterschied zwischen mir und Marianne, und zwischen Papa und Mama kaum mehr. Dennoch können Frauen manches besser als Männer und umgekehrt. Sind das nun alte Sitten oder sind die beiden tatsächlich so unterschiedlich? Ich habe gehört – Herr Grams erzählte uns davon in der Schule – daß es früher eine lange Zeit gab, in der Millionen von Frauen von Männern gefoltert und ermordet wurden, nur weil sie anders waren als die Männer. Frauen sind weicher, spüren alles viel feiner, können einfach durch Liebe und Handauflegen heilen und so. Und sie können Kinder gebären und ihnen ihre Milch geben. Das können wir Männer nicht. Und daß die Frauen das können, finde ich, ist das Große an ihnen.

Doch die Weichheit der Frauen und Mädchen finde ich an mir auch, bin ja kein Mann sondern ein Kind wie die Marianne auch. Die alte Frau, von der ich schrieb, nennt das das „Heilige Weibliche“. „Das ist die Wurzel des Mensch-Seins, das Heilige Weibliche ist die Wurzel des Mensch-Seins,“ sagt sie, „das ist das Heiligste, das es gibt. Männer sind etwas Abgesondertes, aber wichtig für das Leben, aber eben doch abgesondert vom Rest der Menschen. Der Rest? Na eben Frauen und Kinder, die meisten Menschen sind doch Frauen oder Kinder.“

Und deswegen will ich nicht erwachsen werden, will so weich wie Marianne oder Lisa bleiben, eben wie ein Kind. Doch, sagt die alte Frau, du MUSST ja als Mann nicht deine Weichheit verlieren, das ist nur eine alte Sitte, die wir langsam hinter uns lassen. Wer ist eigentlich Lisa? Sie ist etwas kleiner als ich und lebt auch hier im Dorf, ihre Eltern haben die Gärtnerei, in der Mama und Papa tags arbeiten, und ich auch manchmal. Wie alle Kinder inzwischen trägt auch Lisa einen bunten Wollrock – obwohl sie Rosa sehr mag, sollte ihr Rock doch eher blau sein, mit feinen rosa Streifen drin, doch den hat Papa nicht bekommen, also blau und grün mit roten Streifen. Die Blume von Schottland nennen sie dieses Muster.

Dennoch. Es gibt schon sehr rücksichtslose und harte Männer, wie die Jäger oder einige der Soldaten neulich. Aber auch Folgendes: Auf unserer Kinderwanderung fanden wir in einem Wald einen wunderschönen kleinen See, mit Libellen, bunten Schmetterlingen, Schwalben und gelben Lilien und rosa Seerosen. Erst setzten wir uns ans Ufer und freuten uns still an dem Schönen hier, selbst ein blitzender Eisvogel mit knallrotem Schnabel kam vorüber und setzte sich auf einen reingefallenen Baumstamm. Wir genossen die Klarheit des Wassers und beobachteten allerlei Tiere, die dort umherkrochen oder schwammen. Wir stiegen rein und schwammen ganz vorsichtig – nicht plantschend – umher.

Nach dem Schwimmen legten wir uns in die Sonne, noch naß und nackt und schliefen ein. Ein schrecklicher Motorenkrach weckte uns auf und wir sahen, wie ein altes Auto, das eine schwarze Rauchwolke ausstieß, ins Wasser gefahren wurde, im letzten Moment sprang ein Mann raus und rannte weg. Timo knurrte und bellte, doch da war der Mann schon weg, und aus dem Wasser stiegen Rauchwolken, und nach einiger Zeit kam stinkendes Öl an die Oberfläche. Hätte eine Frau das auch gemacht? Ich glaube nicht, und ein Kind schon gerade nicht. Doch vielleicht ist das ein Vorurteil von mir, es gibt ja auch andere Menschen als unsere Gruppe. Und die meisten Männer hätten das wohl auch nicht getan.

Eine große Wand von schwarzem Eisen ist hoch ..., fast über uns, doch wir fliehen vor dieser Masse von Energie und Krach und Ratteln. Hat dieses was mit Mensch-Sein zu tun? Ist sowas menschlich? Am Ende die rauschende, rote Diesel-Lokomotive, die das alles schiebt - so schnell!

Aus den Fenstern sehen Leute, aber sie können uns nicht sehen. Marianne steht neben mir und weint - das ist doch so schrecklich, können wir je über diese Gleise gehen?


Auch ich bin kurz vor dem Weinen: diese schwere Macht, die uns leicht zermalmen könnte. Und dieses Nachlärmen in unseren Köpfen. Wirklich, so tief wie das in uns eingedrungen ist, wird es lange nicht wieder so still wie es vorher war. Erst nach einer viertel Stunde oder so hören wir wieder die Lerchen über dem Moor, und nach noch längerer Zeit das leise Brodeln im Moor. Die Passagiere werden wohl schon in Bremerhaven sein.


Wir vier Kinder wollen über die Gleise
, und wir sind sicher, daß so schnell kein Zug wieder kommt, da es nur ein Gleis ist, und das habe ich schon beobachtet: so bald kommt nicht wieder einer - „sonst stoßen die vielleicht aufeinander!“ sagt Lisa ein wenig klug. Doch auch sie hatte leise geweint, und Hermann auch, ich nicht, obwohl ich nicht der Größte bin. Marianne ist die Größte und leitet uns meistens an.




DER LÄRM UND DIE STILLE – WAS BLEIBT UNS ANDERES ALS STILLE?

Da haben wir uns einen Sommer lang um die Technik gekümmert, und wie wir ohne sie auskommen können. Ja, wir waren feindselig gegen die Technik, doch Technik kann auch nützlich sein. Jedenfalls haben wir nichts geändert. So jedenfalls sehen wir das, wie wir vier uns in der Hütte im Moor treffen. Wir wollen zwei oder drei Tage hier zusammen leben, schlafen, essen, und über unsere Kinderwanderung sprechen. Wir haben viel mehr erlebt als ich hier geschrieben habe. Mut haben wir kaum bekommen, daß wir was ändern könnten. Eher waren wir oft wütend und verzweifelt. Es gibt technische Dinge, die richtig schädlich sind, andere sind nützlich.

Immerhin: den Lärm, den Gestank, das Hetzen, das alles können wir kaum verhindern, doch es wäre angenehmer, wenn es verbesert würde. Jedenfalls müssen wir da nicht mitmachen. In der stillen Hütte lernen wir, uns nach innen zurück zu ziehen und still zu sein, wenn zu viele Tiefflieger über uns lärmen, wenn es uns zu viel wird. Sozusagen eine geistige Burka. Meistens machen wir dabei die Augen zu. Einmal sagte uns die alte Frau bei uns im Weiler: „... wenn du nicht unruhig bist, lasse die Augen offen. Einerseits sei unbeteiligt. Andererseits sei wachsam und nimm wahr, was du wahrnehmen mußt. Du mußt dir da weiter keine Gedanken machen, sei einfach wachsam.“

Und das üben wir in der Hütte, immer wieder, bis aus dem Üben etwas Normales wird: unbeteiligt aber wachsam sein. Doch da haben wir auch ein Problem: denn immer wieder kommen Gedanken in die Quere, die wir nicht wollen, die uns davon abhalten, uns nach innen zurückzuziehen. Statt ganz innen zu sein, verlieren wir uns in den Gedanken. Sie lassen uns nicht in Ruhe.

Allerdings: Lisa ist da anders, sie sagt, meistens denkt sie überhaupt nicht. Und wenn sie mal denken will oder muß, stellt sie – sozusagen – das Denken wie mit einem Schalter an, und hinterher wieder ab. Ich finde, da ist sie glücklich dran. Ihr Leben ist bestimmt einfacher als meins. Sie sagt, „darum habe ich auch nicht immer mitgeredet, wenn ihr über ein Problem diskutiert habt.“



DIE LISTE DER KINDER
Marianne (meine Schwester)–
Hermann –
Lisa –
August (ich) –
Suse (unsere kleine Schwester)–
Timo – Hund



Nachbemerkungen
Noch vieles kommt mir in den Sinn, das ich noch dazuschreiben sollte - und ich werde es auch tun. Wer Lust hat, kann ja mal immer wieder hier reinsehen.


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Weitere Posts in diesem Blog:


Nun kommen zwei Betrachtungen über wissenschaftliches Arbeiten, rechte Wissenschaft ist für mich Verantwortung für das Leben, denn nur für das Leben hat Wissenschaft Wert:
 http://verantwortung-fuer-mein-leben.blogspot.de/2009/09/east-and-west-in-science.html
und:
 http://verantwortung-fuer-mein-leben.blogspot.de/2009/09/paradigms-in-science.html .

Die Meere sind Müll-Deponien, wobei mancher Müll sich auf Jahrtausende kaum zersetzen wird:
 http://meeresmuell.blogspot.de/ .

Außerdem ein Post über meine Polio (mit 20) und das Leben danach:
http://verantwortung-fuer-mein-leben.blogspot.com/2009/09/verantwortung-fur-mein-leben-die-polio.html

Und ein Post über meine - indisch geprägten - Wege, mich gesund zu halten:



Meine EMail-Adresse: Ma.Aryafrau@gmx.de 




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2 Kommentare:

  1. Oh, irgendetwas ist hier kaput gegangen: irgendwelche fremden Schriftzeichen . . . Google ist auch zuuu komisch manchmal

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  2. Oh, liebe Rapunzel, eben hast Du angerufen - Danke! Oben ist meine gültige EMail-Adresse - doch die alte steht HIER nicht drin, also hast Du noch was anderes gelesen. - Ach ja, in meinem Profil, habe ich eben korrigiert. Danke für den Hinweis..

    Sieh auch mal hier rein: http://friedas-liebe.blogspot.de/2012/07/dreizehntens-unsere-liebe-clarissa-und.html . Das ist die Geschichte "Die blonde Clarissa"

    Grüße in den eisigen Norden von Deinem Brummbär.

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